Beobachtungen aus dem Bregenzerwald

3. Teil: Nicht normal, sondern bsundrig

Was hat es mit diesem „Vorarlberger Architekturwunder“ auf sich? Erstaunlicherweise lagen seine Wurzeln in der MItte der einheimischen Bevölkerung, bei jungen Baumeistern, Handwerkern und Häuslebauern. Ihr kollektiver Aufbruch in den 1970er und -80er Jahren wurde durch eine baurechtliche Besonderheit in Vorarlberg begünstigt:

„Für die amtliche Bewilligung von Neubauten ist hier kein zivilrechtlich bzw. durch Kammermitgliedschaft befugter Planer nötig. So konnten die genannten Mitglieder der „Cooperative”, konnten ab 1980 auch Roland Gnaiger, Walter Holzmüller, Bruno Spagolla, etwas später dann Hermann Kaufmann, Helmut Dietrich, Carlo Baumschlager, Helmut Kuess, Wolfgang Ritsch und andere ohne lange Praxisjahre sofort nach dem Studium bauen, konnte ein Autodidakt wie Wäger allein von 1960-80 ein Oeuvre von mehr als fünfzig Häusern realisieren,“

schreibt Otto Kapfinger auf der Website des Vorarlberger Architekturinstituts. Kammerzwang scheint also keine unbedingte Voraussetzung auf dem Weg zur Architekturqualität zu sein. Zu den Zugpferden mit internationalem Erfolg gehören Carlo Baumschlager und sein langjähriger Büropartner Dietmar Eberle. Und hier schließt sich der Kreis zu einem letzten Thema, bei dem es endgültig lokalpatriotisch und weltmeisterlich wird.

Wir fahren durch Egg, Hauptort der mit rund 3500 Einwohnern größten Gemeinde des Bregenzerwalds. Durch das Dorf führt die L200, ein Kreisverkehr leitet ab zu einem nagelneuen, mit Fichtenlatten verkleideten Bau: Das Einkaufszentrum „KDW“, Kaufhaus der Wälder, entworfen von ebenjenen Architekten Baumschlager + Eberle, respektive dem Büro Baumschlager Hutter und Partner, das Carlo Bauschlager gründete, nachdem er die zur Architekturfabrik gewachsene Praxis mit Eberle vor einigen Jahren verlassen hatte. Hauptmieter und Mitinitiator des Projekts: Die Vorarlberger Supermarktkette Sutterlüty. Hier in Egg wurde das Handelsunternehmen vor 60 Jahren gegründet, jetzt steht hier mit dem hypermodernen Markt – Geothermie, Photovoltaik, LED-Beleuchtung – das Flagschiff der aktuell 22 Filialen im „Ländle“. Eine weitere Expansion über die Grenzen des Bundeslandes hinaus scheint zumindest mittelfristig kein Thema zu sein, im Gegenteil: Bei Sutterlüty dreht sich alles – Sortiment, Marketing, Lieferkette, Architektur – um die Region, um nicht jetzt schon den Begriff der „Heimat“ zu strapazieren. In jedem Markt hängt öffentlich eine Tafel, auf der ein Prozentwert steht: Der Anteil regionaler Produkte am Umsatz der vergangenen Woche. Mit über einem Drittel durchschnittlichem Regionalanteil bezeichnet sich Sutterlüty als Weltmeister in dieser Disziplin.

Einkaufen bei Sutterlüty macht Spaß: Die Bauten sind schick, die Produkte lokaler Produzenten, teils unter der eigenen Handelsmarke Sutterlüty’s angeboten, sind frisch und lecker. Die Verkäuferin an der Fleischtheke duzt ihre Kunden – IKEA lässt grüßen. Der Bioanteil ist hoch, das Preisniveau fair. Das Konzept geht auf, die am Heimatgefühl gepackten Verbraucher wirken hochzufrieden, an der Kasse plauschen Angestelle und Kunden im Dialekt. Der Urlauber quetscht die prall gefüllten, quietschrosa Sutterlüty-Tüten in die letzten Hohlräume des Familienkombis und kann sich, während die Fahrt wieder Richtung Deutschland geht, der Untugend des Neides nicht ganz erwehren: Warum wirkt dieser fast schon bizarre Ländlekult, dieser überentwickelte Lokalpatriotismus der Bregenzerwälder trotzdem noch sympathisch, warum scheint sich alles, was sie anfassen, zwar nicht in Gold, aber doch in goldgelben, zartschmelzenden Hartkäse oder schimmernde Kuben aus blondem Fichtenholz zu verwandeln? Sie sind eben was „b’sundriges“, wie es der Dialekt formuliert und Sutterlüty nicht müde wird zu betonen. Und wenn es sich in 14 Tagen nicht ergründen ließ, dann fahren wir einfach wieder hin.

Teil 1

Teil 2