Kommen wir direkt zur Sache: Ja, diese Brille ist aus echtem Büffelhorn gefertigt. Selten wurde ich von einem Verkäufer derartig eingewickelt. Er trug selbst ebenfalls eine Hornbrille und erinnerte ansonsten etwas an Charles Schumann aus dieser Münchner Bar. Ich wollte gerne ein bisschen so sein wie er. Hornbrillen sind ausserdem antiallergen, sehr leicht und der grau-braun-melierte Farbton ähnelt dem meiner Haare, was meinen Typ subtil unterstreicht. Aber um all das geht es hier überhaupt nicht, vielmehr geht es darum, wie schwer es ist, sich Verschwörungstheorien zu entziehen. Es geht um die Horn-Verschwörung.

Naja, nicht ganz richtig. Erstmal ging es mir darum, wie man denn so ein edles Brillengestell wohl zu pflegen hat. Was im Laden noch perfekt poliert glatt und seidig glänzte, wurde im Alltag doch schnell etwas stumpf und porös. Darüber hatte der Verkäufer kein Wort verloren, aber wozu gibt es denn Google! Allerdings schien es, als ob die Anbieter von Horngestellen grundsätzlich nicht gerne über die Pflegebedüftigkeit ihrer Produkte redeten. Wenig Brauchbares fand sich, ausser dem Rat, sich regelmässig zur Pflege des guten Stücks beim Optiker einzufinden. Aber selbst ist der Mann! Nachdem ich im Rahmen der folgenden Recherche unter anderem lernte, dass auch die rege Szene der Do-it-Yourself-Langbogenbauer gerne Horneinlagen zwischen Holzschichten laminiert, um nach historischem Vorbild mit Pfeil und Bogen zu jagen, stiess ich schließlich auf einen Anbieter von handwerklichem Hornbesteck (Hornlöffel, das weiss ja jeder kultivierte Mensch, werden besonders gerne zum Naschen von eiweißreichen Leckereien wie Kaviar benutzt, die Silberlöffel anlaufen lassen). Na bitte:

Hornbestecks bestehen aus einem natürlichen und vor allem organischen Material. Dies zu wissen bedingt, dass sie einer gewissen Pflege bedürfen ähnlich wie das Leder unserer Schuhe. Dazu wird das Besteck einfach mit neutralem Öl wie z.B. Sonnenblumenöl eingerieben oder über Nacht alle Zeit lang direkt hineingestellt.

Das wollte ich doch nur wissen. Also pflanzliche Fette. Eigentlich hätte ich es damit bewenden lassen können. Aber etwas an der Homepage des Anbieters (dessen Adresse ich hier bewusst nicht verlinken werde, der Weg über Suchmaschinen steht jedem offen) weckte meine Neugierde. War es der rustikal-heimelige Stil des Webdesigns, der liebenswert-eigentümliche Sprachduktus? Jedenfalls klickte ich auf eine barock gestaltete Schaltfläche namens „Gesundheit“, und hier erfuhr ich Erschütterndes: War Ihnen bewusst, daß wir von einer Verschwörung auf höchster Ebene schleichend vergiftet werden, und zwar durch…  Achtung: Edelstahlbesteck?! Ja, legen Sie ihren Kaffeelöffel ruhig mal erschrocken zur Seite. Bluthochdruck, Übergewicht, Depression, Burnout: Alles Folgen der langsamen Schwermetallzufuhr durch Ihre pflegeleichten Cromarganbestecke. Von jenen, die als Schüler oder Studenten noch in Mensen der Siebziger, Achtziger Jahre direkt vom Edelstahltablett fressen durften, ganz zu schweigen. Die regieren uns heute. Da ist alles längst zu spät, es erklärt aber auch vieles

Der Betreiber der besagten Seite klärt glücklicherweise rundum auf, weist aber auch darauf hin, dass der militärisch-industrielle Komplex sowie die New World Order ein vitales Interesse daran haben, die Bevölkerung durch diesen hinterhältigen Trick siech und revolutionsunwillig zu halten, und dass es nur einer intellektuellen und rassischen Elite unter seiner Führung gelingen wird, sich mittelfristig zu entziehen. Vorausgesetzt natürlich, diese erwerben bei ihm auch sein handgeschnitztes Hornbesteck. Der Mann scheint sich seiner mächtigen Gegner bewußt, sicherheitshalber steht im Impressum daher eine Briefkastenfirma auf den Cayman Islands. Sehr nachdenklich massierte ich nach dieser aufrüttelnden Lektüre etwas Pflanzenöl in die durstigen Poren des Büffelhorn-Gestells, warf einen langen, prüfenden Blick in meine Besteckschublade und entschied mich dann doch gegen die sofortige Entsorgung des dort lagernden Giftmülls. Und fragte mich: Wiegen die Vorteile der Vernetzung das Unbehagen wirklich auf, wenn einem auf diese Weise wieder einmal bewusst wird, wieviele Irre da draussen rumlaufen?