Als kleiner Bub verbrachte ich einige Tage im Spätsommer bei meiner Tante Pauline. Sie nahm mich mit zu den Rosenhecken am Bahndamm, wo wir die roten Hagebutten sammelten, aus denen sie dann Hagebutten-Marmelade, schwäbisch: Hägenmark kochte. Ein aromatischer, süßlich-herber, orangeroter Brotaufstrich. Lange Zeit hatte ich diesen Kindheitsgeschmack vergessen, bis ich als Student fränkisches Hiffenmark im Supermarkt wiederentdecke, und es sich erneut unter meinen Lieblings-Marmeladensorten etablierte.
Mein Marmeladenherz gehört solchen einfachen, nostalgischen Sorten: Konfitüre aus Feigen oder Mirabellen, Trauben- und Quittengelee, Bitterorangenmarmelade. Schräge Fruchtkombinationen, allzu Gewürztes oder Aromatisiertes mögen andere kochen, kaufen und essen. Wenn ich selbst Marmelade koche, dient dies – mangels eigenem Obstgarten – weniger der utilitaristischen Bewältigung eines Erntesegens, sondern stellt eher eine kleine rituelle Reverenz an die ungeheure zivilisatorische Bedeutung des Konservierens von Nahrung dar, einer Fertigkeit, die unser modernes Leben mindestens ebenso stark beeinflusste wie die Entdeckung der Elektrizität. Eine Marotte von mir ist dabei die Vorliebe für Wildfrüchte, die entlang der Seitenstraßen in den ländlichen Vororten oder auf urbanen Brachen gedeihen: Insbesondere Brombeeren, die sich jedes Jahr kiloweise wild ernten ließen, wenn man sich denn die Zeit nähme. Oder eben die dicken, roten Hagebutten an kommunalen Rosenhecken, die man Jahr um Jahr wachsen, reifen und vergammeln sieht, bis man sich – allen Warnungen zum Trotz – entschließt: Dieses Mal wird geerntet, und Hägenmark gekocht.
Ende August schmückt sich die rosenbewachsene Böschung in L., die ich schon lange beobachte, wieder mit leuchtend roten, kastaniengroßen Früchten. Trotz der garstigen Dornen geht die Ernte flugs von der Hand, in einer guten Viertelstunde sind rund 800 Gramm Hagebutten beisammen. Später am Abend widme ich mich der Verarbeitung. Dem Internet sei Dank, denn dort lernen wir, dass „echtes“ Hägenmark, oder Buttenmost, wie die Schweizer sagen, in einem äusserst aufwendigen Prozess kalt erzeugt wird: Hagebutten tagelang einweichen, zerdrücken, passieren. Der Vorteil dieser Prozedur ist, dass dieses rohe Mark unglaubliche Mengen an Vitamin C enthält und auch sonst ein rechtes Gesundheitselixier sein soll. Allerdings: Zum Konservieren muß auch solches Rohmark mit Zucker eingekocht oder aber tiefgefroren werden. Mein Ziel ist Marmelade, daher wähle ich das alternative Rezept, bei dem die Hagebutten vor dem Passieren zerkleinert und kompottartig weichgekocht werden. Trotz dieser Vereinfachung: Schon beim Putzen der Früchte geht mir auf, warum selbstgemachtes Hägenmark so unpopulär geworden ist. Es ist eine Schweinearbeit; den größten Teil der Früchte machen die haarigen Samenkörner unter der nur wenige Millimeter dicken Fruchtfleischschicht aus, die zu allem Überfluß auch noch garstig jucken. Auch scheint es, wie bei jedem Obst, einen spezialisierten geflügelten Parasiten zu geben, denn immer wieder lacht mich auch mal eine dicke Made an, wenn ich eine Hagebutte zerteile. Es bleiben schließlich zwei etwa gleich große Häufen aus Abfall und grob zerkleinerten Früchten, letzterer wandert in den Topf, wird mit Wasser angegossen und eine halbe Stunde gekocht. Die kompottartige Masse aus Fruchtfleisch und Kernen lasse ich aufgrund der späten Stunde für den Rest der Nacht auf dem Balkon stehen und durchziehen.
Am nächsten Morgen wird die Moulinette gezückt, um das Mus von den Kernen zu trennen, in einem zweiten Passiergang bleiben Fasern und Härchen im feinen Küchensieb zurück. Die Masse wiegen, nach Rezept Zucker und Geliermittel dazu, kochen, abfüllen – der Rest ist eine leichte Übung. Anbetrachts der Kleinstmengen bei meinen Einkochaktionen mag sich dennoch keine rechte Routine einstellen – wie sich nach dem Abkühlen des halbgefüllten Restglases für den sofortigen Verzehr herausstellt, war es wohl ein bisschen viel Pektin. Farbe und Geschmack sind perfekt, aber die Konsistenz dürfte ruhig etwas weicher sein. Seis drum, was an Zeit und Mühe investiert wurde, zahlt sich jetzt über Monate hinweg Morgen für Morgen aus – in Form eines beglückenden Bisses in mein knuspriges, mit Hägenmark bestrichenes Frühstückstoast.
Hans Haug
21. Januar 2013 @ 08:39
Die Zitrone gilt ja in unseren Breitengraden als die typische Vitaminspenderin – nur der Vitamin C – Gehalt der Hagebutte liegt rund 40 Mal höher – und sie wächst hier. Wenn allerdings aus der Hagebutte Marmelade gekocht wird, bleiben von den Vitaminen sicher nur Spuren übrig. Der Versuch der Roh-Verarbeitung würde sich lohnen.
Aus der getrockneten Schale, lässt sich auch ein ein guter Tee zubereiten, sogar aus den zur Seite gelegten, getrockneten Samenkörnern.
Als ca. 12 jähriger habe ich versucht bei Mädchen Aufmerksamkeit zu erreichen, indem ich ihnen die haarigen Samenkörner in den Blusenkragen gesteckt habe – allerdings nicht mit dem Ergebnis, das ich gewünscht hatte.