Das Milchprodukt Joghurt demonstriert besonders drastisch die Scheinvielfalt, die mit der industrialisierten Nahrungsmittelproduktion einhergeht. Ein durchschnittlicher deutscher Supermarkt bietet in der Regel allein vier bis fünf Sorten der Gattung „Naturjoghurt mild, 1,5% fett, cremig gerührt, 500ml“ an, in unterschiedlichen Preissegmenten von der Handelsmarke zum Discount-Preis bis zur ländlich-romantisierenden Premiummarke, die auch mal das doppelte kosten darf. Wer sich die Mühe macht, die Varianten durchzuprobieren, wird die frustrierende Feststellung machen: Sie schmecken alle exakt gleich, und zwar nach nichts. Es handelt sich um den sogenannten „Joghurt mild“, einen weitgehend geschmacksneutralen Schleim, der nur sehr unkritischen Zeitgenossen als Füllmittel für übersüßte Fabrikmüslimischungen dienen möge. Ziemlich lange galt die Mikrobe Lactobacillus bulgaricus, isoliert aus traditionellem bulgarischem Joghurt, im Team mit Streptococcus termophilus als der Goldstandard, um Milch in den ebenso bekömmlichen wie haltbaren, sauren und stichfesten Zustand zu überführen. Vor etwa zwanzig Jahren stellte jedoch die Marktforschung der Milchindustrie anscheinend fest, dass Verbraucher Joghurt viel zu sauer fänden, und präsentierte umgehend die Antwort in Form des „Joghurt mild“, der mit einer anderen Mikrobenmixtur erzeugt wird. Ich betrachte solche Argumentationen nach dem Muster „Die Kunden WOLLEN das aber so“ immer mit großem Argwohn; in der Regel stellt sich hinterher heraus, dass die Innovation vielmehr in einem schnelleren, billigeren und/oder leichter zu beherrschenden Prozess liegt – so wie bei der „mildgesäuerten“ Butter, die nicht mehr umständlich auf natürliche Weise sauergelegt werden muß, sondern auf die Schnelle einen beliebigen pH-Wert nach Wunsch erhält (und auch so schmeckt – beliebig). Merken: Dazu gelegentlich einen Molkereifachmann interviewen.

Fest steht, der „Joghurt mild“ hat im Kühlregal gesiegt, man muß sehr genau hinschauen, um noch Naturjoghurt zu finden, der so kräftig säuerlich wie früher schmeckt. Die Geschmäcker sind verschieden – ich bevorzuge eindeutig den stichfesten, sauren Bulgarica-Joghurt und habe auf der Jagd nach ihm das ein oder andere Abenteuer erlebt. Beispielsweise regionale Unterschiede: Die wertkonservativen Schwaben etwa zwingen den holländischen Milchmulti Campina mit beharrlicher Nachfrage dazu, den vor Jahr und Tag durch die einstige „Südmilch“ eingeführten „Joghurt Original“ bis heute weiter zu produzieren. Der stichfeste, knackig saure Joghurt im charakteristischen 200ml-Fläschen segelt inzwischen unter der unsäglichen „Landliebe“-Flagge, hat naturbelassene 3,8% Fett und darf auf keinen Fall mit dem fast identisch aussehenden, aber katastrophal nichtssagenden Schwesterprodukt „Landliebe Joghurt mild 1,5%“ verwechselt werden. Merke: Grüne Deckelfolie, auf keinen Fall blaue! Als ich Ende der neunziger Jahre nach Nordrhein-Westfalen zog, gab es in ganz Bochum exakt einen Supermarkt, der dieses Produkt – in Baden-Württemberg ubiquitär – führte, inzwischen sieht man ihn öfters bei besser sortierten Händlern. Ein solider, jederzeit empfehlenswerter Klassiker.

Ein weiteres süddeutsches Produkt: Bulgara von Domspitzmilch aus Regensburg, Teil der genossenschaftlich organisierten Bayernland Milchwerke. Was der freundlich lächelnde Opi in bulgarischer Tracht auf dem Aludeckel verspricht, halten die unkonventionellen 175g  des stichfesten Inhalts. Ebenfalls ein Naturjoghurt, der prickelnd-aromatisch nach früher schmeckt. Eine interessante Alternative stellen auch die Joghurts von Gazi dar. Sie werden in Deutschland vor allem für türkischstämmige Zielgruppen produziert, und die mögens zum Glück schön sauer. Der 3,5-Prozenter ist geschmacklich sehr angenehm und dazu preisgünstig, allerdings gerührt und von den Gebindegrößen her (500g, 1kg, 3kg-Eimer) nichts für Singlehaushalte. Wo wir im Mittelmeerraum sind: Natürlich ist auch echter griechischer Joghurt was feines, aber in der Regel nur in der 10%-Fettstufe zu bekommen, die mir fürs Frühstück immer etwas heftig ist. Zu guter letzt doch noch ein „Joghurt mild“, der aber so erstaunlich kräftig und vollmundig daherkommt, dass man ihn durchaus empfehlen kann: Der Demeter-Joghurt mit natürlichem Fettgehalt, stichfest, von der Bio-Molkerei Söbbeke im Münsterland – allerdings kein Schnäppchen. Wer seinen Joghurt-Geschmack grundsätzlich eichen möchte, sollte seine Schritte sommers in alpine Gefilde lenken und dort die entsprechenden Alm- und Sennprodukte kosten. Zum Beispiel bei Familie Beer in Schoppernau, Bregenzer Wald.

Aber was ist denn mit Selbermachen, höre ich die Waldorffraktion rufen. Ja, auch das ist natürlich eine Möglichkeit. Wenn man allerdings nicht über eine eigene Kuh – oder wenigstens Rohmilch vom Biohof nebenan – verfügt, eine ziemlich aufwändige und  letztlich unsinnige: Denn mit industriell hergestellter Milch aus dem Tetrabrick und einer ebenfalls industriellen Joghurtkultur den industriellen Herstellungsprozess, nur mit weniger Präzision und schlechterer Hygiene, zuhause nachzuahmen, führt nicht zu überlegenen, sondern zu zufälligen Ergebnissen und reichlich Ausschuß. Dies sind zumindest meine persönlichen, auf die harte Tour erworbenen Erfahrungen mit dieser Thematik – schön, wenn es Ihnen besser gelingt. Was man hingegen jederzeit selbst tun kann, ist aus gutem, normalem Joghurt sogenannten „strained yoghurt“ herstellen, eine Zutat, die man in englischsprachigen Rezepten nicht selten findet: Nichts anderes als Naturjoghurt, der einige Stunden – wie Quark – in einem Mulltuch und Sieb abtropfen durfte. Die Konsistenz entwickelt sich auf wundersame Weise in Richtung des griechischen Joghurts (der nicht anders hergestellt wird), und ein Tzaziki bleibt mit dieser Zutat schön konsistent, auch wenn die Gurken wieder wässern wie verrückt.

Zum 2. Teil: Saurer Joghurt reloaded

Zum 3. Teil: Kauf türkisch, kauf regional!